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Teil 1 A: Aufrichtung von Werken. Li Schi

Persönliche Ethik. Eigene Fehler.

Meister Dsong sprach:

Der Edle kämpft gegen sein Böses, er sucht seine Fehler, er gibt sich Mühe in den Dingen, die er noch nicht kann, er entfernt selbstsüchtige Triebe und geht an seine Arbeit, wo die Pflicht ruft.

Das mag man Bildung nennen.

Bildungsstreben

Der Edle geizt mit dem Tag, um sich zu bilden; wenn die Zeit gekommen ist, so handelt er.

Vor Schwerem scheut er nicht zurück, dem Leichten wendet er sich nicht zu; nur die Pflicht ist es, worauf er sieht.

Des Morgens früh geht er an sein Werk, des Abends prüft er sich selbst. Darauf achtet er sein Leben lang.

Das mag man Treue zum Werk nennen.

Konzentration und Folge

Der Edle bildet sich ausschließlich in dem, was zu seinem Werk gehört.

Er fragt ausschließlich in der richtigen Folge. Hat er gefragt und nicht ganz klar verstanden, so benützt er eine Zeit, da der Meister Muße hat, und beobachtet seine Stimmung; dann wiederholt er die Frage.

Wenn er auch dann keine Antwort bekommt, sucht er sie nicht mit Gewalt zu erzwingen.

Stufen der Aneignung

Der Edle kennt, wenn er etwas studiert, nur die Sorge, es möchte nicht umfassend genug sein.

Wenn er umfassende Kenntnis hat, kennt er nur die Sorge, er könnte sie nicht üben.

Wenn er sie geübt hat, kennt er nur die Sorge, er möchte es nicht verstehen.

Wenn er es versteht, kennt er nur die Sorge, er möchte es nicht ausführen können.

Wenn er die Gelegenheit hat, es auszuführen, legt er Wert darauf, bescheiden zu sein.

Des Edlen Bildung beschäftigt sich mit diesen fünf Dingen. Darin ist alles befasst.

Wissen und Handeln

Der Edle erwirbt umfassende Kenntnisse, aber wahrt sie in aller Bescheidenheit.

In seinen Worten ist er zurückhaltend, in der Ausführung sucht er es anderen zuvorzutun, in den Worten sucht er hinter den anderen zurückzubleiben.

Der Edle wahrt ängstlich sein Leben lang diesen Standpunkt.

Geduld

Beim Handeln darf man keinen raschen Ruhm suchen; bei den Werken darf man keinen raschen Erfolg suchen.

Was wir aussprechen, das mögen die Nachkommenden ausbreiten; was wir ausführen, daran mögen die Nachkommenden sich halten.

Der Edle wahrt besorgt sein Leben lang diesen Standpunkt.

Verhältnis zu den anderen

Der Edle verachtet nicht die Geringen und hemmt nicht die Unbekannten.

In seinem Wandel verbirgt er sich selbst, aber verbirgt nicht die anderen.

Wenn die anderen ihn dann doch erkennen, so freut er sich darüber. Und wenn die anderen uns nicht erkennen, so kennen wir uns doch selbst.

Der Edle wahrt mit Anstrengung sein Leben lang diesen Standpunkt.

Anregendes und warnendes Beispiel

Der Edle kennt ein Unglück, vor dem er besorgt ist, und eine Schande, vor der er sich fürchtet:

Wenn er Gutes sieht, so fürchtet er, er könnte es nicht erreichen; wenn er Nichtgutes sieht, so fürchtet er, es könnte ihn anstecken.

Darum ist der Edle sein ganzes Leben lang darüber im Bedenken.

Überwindung der Versuchung

Der Edle, wenn er Gewinn vor sich sieht, denkt er an die Schande.

Wenn er Böses sieht, denkt er an die üble Nachrede.

In der Versuchung sinnlicher Begierden denkt er an die Beschämung.

Bei Ärger und Zorn denkt er an das Unheil, das dadurch angerichtet werden kann.

Der Edle wahrt mit Furcht und Zittern sein Leben lang diesen Standpunkt.

Selbstbeherrschung durch Nachdenken

Der Edle besiegt seine Triebe durch Nachdenken.

Er denkt, ehe er sich bewegt; er überlegt, ehe er handelt.

Beim Handeln denkt er daran, es so zu machen, dass man darüber reden kann.

Beim Darüberreden denkt er daran, dass es sich wiederholen lässt.

Beim Nachdenken über die Wiederholung denkt er daran, dass es sich darum handelt, dass er von seinen Worten nichts zurücknehmen muss.

Das mag man als vorsichtig bezeichnen.

Dauernde Wirkung

Wenn die Menschen unseren Worten trauen, so richten sie sich danach in ihren Handlungen; wenn die Menschen unseren Handlungen trauen, so richten sie sich danach in ihrer Wiederholung.

Durch Wiederholung wird Folgerichtigkeit gefördert, durch Folgerichtigkeit wird die Dauer gefördert.

Das mag man als Übereinstimmung des Äußeren und Inneren bezeichnen.

Beeinflussung der anderen

Der Edle redet über Dinge nicht, über die er selbst noch im Unklaren ist; ehe er gefragt wird, redet er nicht; wird er nach zwei Möglichkeiten gefragt, so lässt er den Schüler nicht nach der schweren handeln.

Ist der Edle selbst in etwas gut, so freut er sich darüber, wenn auch andere darin gut sind; kann er selbst etwas, so freut er sich darüber, wenn auch andere es können.

Und wenn er selbst etwas nicht kann, so zieht er nicht andere mit hinein.

Wirkung auf andere und auf sich selbst

Der Edle liebt es, wenn die Menschen gut sind, aber er drängt sie nicht dazu; er hasst es, wenn die Menschen nicht gut sind, aber er sucht sie nicht durch Abscheu davon abzuhalten.

Er verabscheut seine Fehler und sucht sie nicht zu beschönigen.

Er verschönert seine Vorzüge und rühmt sich ihrer nicht.

Denn wenn man sich rühmt, macht man keine Fortschritte; wenn man seine Fehler beschönigt, so verbessert man sie nicht.

Vertrauen auf das Gute in den Menschen

Der Edle kommt den Menschen nicht entgegen mit Abneigung, er macht die Menschen nicht unsicher durch Misstrauen.

Er redet nicht über die Fehler der Menschen, sondern fördert die Menschen in ihren Vorzügen.

Er behält die Vergangenheit und beachtet die Zukunft.

Wenn einer morgens fehlt und bessert sich des Abends, so hält er es ihm zugute.

Wenn einer abends fehlt und bessert sich am Morgen, so hält er es ihm zugute.

Der Edle weiß, dass die Gerechtigkeit feste Gesetze kennt und dass ein Vorzug eines Menschen andere Vorzüge nach sich zieht.

Wenn er daher bei einem Menschen ein Gutes sieht, so hofft er auf ein zweites, wenn er Kleines sieht, so hofft er auf Großes.

Wenn einer dann wirklich Geisteskräfte zeigt, so verlangt er doch nicht zu viel von den Menschen.

Nicht zu viel von den Menschen erwarten

Der Edle enttäuscht nicht die Freude der Menschen und verlangt nicht zu viel von der Höflichkeit der Menschen.

Das Künftige erwartet er nicht, dem Vergangenen hängt er nicht nach.

Die von ihm gehen, beredet er nicht, die zu ihm kommen, sucht er nicht durch Vorteile an sich zu fesseln.

Das mag man als gewissenhaft bezeichnen.

Die goldene Mitte

Der Edle ist ehrerbietig, aber nicht umständlich, ruhig, aber nicht lässig, bescheiden, aber nicht unterwürfig, frei, aber nicht ungebunden, freigebig und nicht knickerig, gerade, aber nicht zufahrend.

Das mag man als selbstlos bezeichnen.

In der Fremde

Wenn der Edle in ein fremdes Land kommt, so spricht er nicht von den Dingen, die dort vermieden werden müssen.

Er übertritt nicht die Verbote.

Er kleidet sich nicht in buntfarbige Gewänder.

Er führt keine gefahrbringenden Reden.

So heißt es:

Lieber zu einfach als zu verschwenderisch, lieber zu wenig als zu viel.

Vorsicht im Reden

Wenn man etwas sagen könnte, aber keinen Glauben findet, so sage man es lieber nicht.

So kann der Edle den ganzen Tag reden und gerät nicht in Vorwürfe, während der Gemeine oft durch ein einziges Wort für sein ganzes Leben in Schuld gerät.

Der Edle gibt keinen ungeordneten Reden Nahrung. Göttermythen erwähnt er nicht.

Durch die Länge des Wegs nimmt er täglich zu.

Was alle glauben, davon lässt er sich nicht bestimmen.

Wunderreden billigt er nicht.

Wenn er den Worten anderer nicht glaubt, so stimmt er ihnen nicht zu.

Der Edle verbreitet keine Gerüchte, er bringt die Leute nicht wegen ihrer Reden in Verlegenheit.

Er tut sich nicht vor den Menschen hervor durch seine Fähigkeiten.

Seine Worte haben immer einen Kern. Seine Handlungen haben immer ein Vorbild.

Die Anhänglichkeit an andere hat eine feste Regel.

Vorsicht im Verkehr

Es gibt Menschen, die verstehen vieles, aber lieben niemand; sie haben umfassende Kenntnisse, aber keine feste Regel; sie haben vielerlei Neigungen, aber keine Bestimmtheit.

Mit solchen ist der Edle nicht zusammen.

Der Edle versteht vieles, aber er sucht sich (die Menschen) aus (denen er sich anschließt); er strebt nach umfassenden Kenntnissen, aber sichtet sie; er redet vieles, aber mit Vorsicht.

Es gibt Menschen, die haben umfassende Kenntnisse, aber handeln nicht danach; sie streben stürmisch vorwärts, aber lassen niemand anderes hochkommen; sie lieben die Geradheit, aber sind zufahrend; sie lieben die Einfachheit, aber sind pedantisch.

Mit solchen ist der Edle nicht zusammen.

Es gibt Menschen, die sind eilig im Verstehen ohne Beharrlichkeit; sie lieben den Ruhm ohne Wesenhaftigkeit; sie werden ärgerlich und zornig und tun Böses; sie sind in ihren Manieren ehrerbietig, aber reden von sich als Heiligen und haben keinen festen Standpunkt.

Mit solchen ist der Edle nicht zusammen.

Hindernisse der Entwicklung zum Guten

Wer gewandte Reden führt und nichts kann, wer kleine Schliche wählt und hartnäckig ist, der wird es schwer zu sittlicher Güte bringen.

Ein Mensch, der es liebt, die Nächte durchzutrinken, der gerne lose Lieder singt, in den Gassen sich herumtreibt und in den Dörfern sich aufhält: Was soll ich von dem erwarten!

Ein Mensch, der sich beim Aus- und Eingehen nicht an die Zeit hält, der in seinen Worten keine Folge hat, der Bequemlichkeit liebt und Rücksichtslosigkeit gern hat, der, wenn man ihn bedenklich machen will, sich nicht fürchtet, wenn man ihm zuredet, nicht darauf hört: mit einem solchen ist auch die Mühe eines Heiligen vergebens.

Ein Mensch, der an die Arbeit geht ohne Sorgfalt, der einen Angehörigen verloren hat und nicht trauert, der beim Opfern nicht fromme Scheu kennt, der bei Hofe nicht ehrerbietig ist: von einem solchen will ich nichts wissen.

Wer zwischen dreißig und vierzig die schönen Künste noch nicht beherrscht, der wird sie nie beherrschen. Wer mir fünfzig noch nicht durch etwas Gutes von sich hören gemacht hat, der wird nichts von sich hören machen. Wenn einer mit siebzig keine geistige Bedeutung hat, so mag er kleinere Fehler machen; man soll ihn in Ruhe lassen.

Wer in der Jugend sich nicht übt im Lernen, wer im Mannesalter sich nicht bespricht über den Sinn der Lehre, wer als Greis nicht andere lehrt: Der mag wohl als ein Mann ohne Werk bezeichnet werden.

In der Jugend im Rufe stehen, unbrüderlich zu sein, ist eine Schande; im Mannesalter im Rufe zu stehen, ohne geistige Bedeutung zu sein, ist beschämend; im Alter im Rufe stehen, keine Sitte zu haben, ist eine Sünde.

Sünden

Fehler haben und nicht imstande sein, sie zu bessern, ist Trägheit; handeln und nicht imstande sein, Folge zu zeigen, ist eine Schande; gute Menschen schätzen und nicht mit ihnen zusammen sein, ist beschämend.

Etwas nicht wissen und nicht fragen, ist Eigensinn; etwas sagen, das man nicht kann, bringt Verlegenheit; in seiner Zuneigung und Abneigung wechselnde Gedanken hegen, ist Unklarheit.

Etwas sagen, das man nicht ausführen kann, ist Betrug; sich mit etwas beschäftigen, das einen nichts angeht, ist Eitelkeit; Gemeinplätze in wohlgesetzten Worten aussprechen, ist leeres Geschwätz.

Ohne jemand Nutzen zu bringen, ein hohes Gehalt beziehen, ist Diebstahl, gern streitbare Reden führen, ist Frechheit; Menschen zum Tode verurteilen ohne inneren Schmerz, ist Mord.

Die Gesinnung

Wenn andere etwas Böses sagen und man widerspricht nicht, so ist es beinahe, wie wenn man an ihren Worten Gefallen fände. Wenn man an ihren Worten Gefallen findet, so ist zu fürchten, dass man sich ihnen persönlich nahe fühlt. Wenn zu fürchten ist, dass man sich ihnen persönlich nahe fühlt, so ist zu fürchten, dass man selber auch so macht.

Wenn andre etwas Gutes sagen und man drückt in seinen Mienen Missbilligung aus, so ist es beinahe, wie wenn man an ihren Worten keinen Gefallen fände. Wenn man an ihren Worten keinen Gefallen findet, so ist zu fürchten, dass man ihnen persönlich fernrückt. Ist zu fürchten, dass man ihnen persönlich fernrückt, so ist zu fürchten, dass man sich gegen sie wendet.

So ist das Auge der Ausdruck der Gesinnung und das Wort der Andeuter der Handlungen.

Was sich im Innern erhebt, das breitet sich aus im Äußern.

Darum heißt es:

Aus dem, was offenbar ist, kann man schließen auf das, was verborgen ist.

So heißt es:

Hört man die Worte eines Menschen, so kann man daraus erkennen, was er gern hat.

Sieht man, wohin seine Reden fließen, so kann man erkennen, was seine Absichten sind.

Wenn er auf die Dauer folgerichtig bleibt, so kann man erkennen, dass er zuverlässig ist.

Wenn man schaut, wen er liebt und an wen er anhänglich ist, so kann man erkennen, was er als Mensch ist.

Wenn man dazukommt, wenn ein Mensch eingeschüchtert wird, so beobachte man, ob er sich nicht fürchtet; wenn er erzürnt, so beobachte man, ob er sich nicht hinreißen lässt; wenn er erfreut wird, so beobachte man, ob er nicht leichtsinnig wird; wenn er mit schönen Frauen zusammen ist, so beobachte man, ob er die Grenzen nicht überschreitet; wenn er zu Trank und Mahl geladen ist, so beobachte man, ob er feste Regeln hat; wenn er bereichert wird, so beobachte man, ob er verzichten kann; wenn er in Trauer ist, so beobachte man, ob er es ernst nimmt; wenn er bedrängt wird, so beobachte man, ob er nicht geschäftig wird; wenn er bemüht wird, so beobachte man, ob er nicht aufgeregt wird.

Der Edle kann es dem Nichtguten wohl so weit bringen, dass er es persönlich nicht tut; aber es ist nicht leicht fertigzubringen, es auch in seinen Mienen zu unterlassen.

Er wird es vielleicht so weit bringen, dass er es auch in seinen Mienen unterlässt; aber es ist nicht leicht es auch in allen Gedanken des Herzens zu vermeiden.


Dieser Text stammt aus dem Li Gi – dem Buch der Riten, Sitten und Gebräuche.

Die Übersetzung von Richard Wilhelm ist hier verfügbar:

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